Prof. Dr. Schiller - Pflegeversicherung: Wo die Versorgungslücke richtig wehtut

09.05.22

Sollten wir unser Pflegerisiko absichern? Unbedingt – doch die Versicherungsangebote sind nicht immer nachhaltig aufgestellt, sagt Jörg Schiller, Professor für Versicherungswirtschaft an der Universität Hohenheim.


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Die Zahl der Menschen in Pflege steigt und steigt: Rund 4,32 Millionen Personen in Deutschland erhielten zum Ende des Jahres 2020 Leistungen aus der staatlichen Pflegeversicherung, so das Bundesgesundheitsministerium. Das ist eine Zunahme um 61,8 Prozent gegenüber dem Jahr 2015. Gleichzeitig erreichen die privaten Zuzahlungen für Pflegeheimplätze ein Rekordhoch: Inzwischen liegt der monatliche Eigenanteil für die Unterbringung im Pflegeheim bei durchschnittlich 2.125 Euro pro Patient. Jedoch nicht einmal 20% der Deutschen haben eine private Pflegezusatzversicherung. Konkret bedeutet das: Die meisten Pflegepatienten haben mit einer gewaltigen Versorgungslücke zu kämpfen.

Prof. Dr. Jörg Schiller von der Universität Hohenheim in Stuttgart und Experte für das Thema Versicherungswirtschaft und Sozialsysteme, hat mit seinem Team eine Studie aufgelegt, um folgende Fragen zu beantworten: Welche Kundengruppen kaufen eine private Pflegeversicherung? Lohnt sich das? Wer sollte solche Produkte kaufen? Wie hoch ist die Kündigungsquote? Zur Beantwortung wurden die Daten eines großen Versicherungsunternehmens analysiert, der Pflegezusatzversicherungen vertreibt.

Dabei wurde schnell klar, dass zwei Gruppen keine private Absicherung ihres Pflegerisikos brauchen: Erstens wohlhabende Personen, die kein Problem damit hätten, im Monat rund 2.000 Euro Eigenanteil an eine Pflegeeinrichtung zu bezahlen und zweitens Einkommensschwache mit geringen Rücklagen. Für Letztere springt im Zweifelsfall die Sozialhilfe ein. „Alle anderen dazwischen sollten das Pflegerisiko absichern”, sagt Prof. Schiller.

Betrachtet man den sozioökonomischen Status der Kunden, die eine private Pflegezusatzversicherung abschließen – also ihr Einkommensniveau und ihre Bildung – stellt man fest, dass Personen mit niedrigerem Status, also beispielsweise Facharbeiter oder Gärtner, zwar ein hohes Pflegerisiko haben – aber ihre Versicherung nicht dauerhaft durchhalten. Ihre Abbruchsquote liegt im ungefähren Bereich von 20 Prozent. Bei Menschen mit höherem Status sinkt in der Regel das Pflegerisiko – genauso wie die Abbruchsquote, die sich um die sieben Prozent einspielt. „Wer diese Versicherung wirklich braucht, kann sie sich nicht durchgängig leisten und wer sie sich leisten kann, braucht sie nicht unbedingt”, kommentiert Schiller das Ergebnis.

Die hohen Abbruchsquoten sind ein Problem, vor allem für die Verbraucher, denn das Geld ist für den Kunden verloren. „Wer nicht durchhält, verliert jeden einbezahlten Euro! Wenn diese Versicherung finanziell ein Kraftakt ist und beim kleinsten Holperer gekündigt wird, kann man sie auch gleich sein lassen.“

Fair ist das nicht, findet Schiller, denn auch die Assekuranzen „müssten es spüren, wenn eine so hohe Abbruchquote vorliegt.” Sein Lösungsvorschlag geht an die Politik und lautet: „Es gilt, eine Pflegerente zu schaffen, die sich auch mit Einmalzahlungen bedienen lässt. Ein Vehikel, in das die Menschen ein kleines Erbe, einen Lottogewinn, einen Bonus einbezahlen können. Eine Anlageform also, in der die Menschen mit Verzinsung Geld parken können, das im Pflegefall abgerufen werden kann.”

Als Beispiel sieht Schiller die Basis- oder Rüruprente. Die kann der Kunde kündigen, wenn er finanzielle Schwierigkeiten hat, aber das Geld ist deswegen nicht verloren, sondern bleibt liegen, bis es im Rentenalter ausbezahlt wird. „Das ginge bei einer privaten Pflegeversicherung auch”, sagt Prof. Schiller. „Dann bliebe das Kapital im Deckungsstock und verfällt nicht völlig.” Sinnvollerweise müsste ein solches Angebot so aufgesetzt werden, dass es aus dem Bruttoeinkommen bezahlt wird und daher steuerfrei bleibt.

In den USA gibt es entsprechende Systeme, bei denen der Kunde nicht von vorneherein deklarieren muss, wofür das Geld verwendet werden soll, er kann später im Bedarfsfall entscheiden, wie das Geld investiert wird - für Pflege oder andere Krankheitskosten. Wer gesund bleibt, kann sich sein Angespartes im Alter auch bar auszahlen lassen, muss dann aber im Nachhinein die Steuer begleichen.

Solange es solche Angebote in Deutschland nicht gibt, gilt laut Schiller: Auf die Beratung kommt es an! „Ich bin selbst Professor für Versicherungswirtschaft und lasse mich bei meiner persönlichen Absicherung dennoch von Profis beraten”, sagt Schiller. „Ich bin kein Produktexperte, nicht einmal ich kann mich in alle komplexen Details der einzelnen Policen einarbeiten.”

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